Zusammenleben mit Pubertierenden bedeutet: Kleine und große Ausfälle, Unfälle, Notfälle jeden Tag. Meine Teenager fühlen sich plötzlich fremd und einsam in einer zuvor vertrauten Welt. Zu blöd, dass ich darüber nicht schreiben darf. Meine Kinder haben mir das verboten…. Auf der anderen Seite: wieviel Pubertät steckt in mir?
Hilfe , wir sind ein Notfall! Neulich erst wieder auf’m Bürgeramt: Der Personalausweis unserer Tochter mit ihrem Bild als Achtjährige läuft dieser Tage aus. Macht nichts, dachte ich. Moderne Jugendliche haben ja zum Glück auch gültige Reisepässe – oha, der läuft in 11 Monaten aus! Zehn Wochen vor Abreise ins Austauschjahr müssen wir also schleunigst neue Papiere beantragen, denn der Pass gilt nur bis Mai und das Austauschprogramm läuft bis nächsten Juni. Geht die Mutter flugs online, um einen Termin beim Bürgeramt zu buchen. Tja, der nächste freie Termin, der mir am 3. Juni in Aussischt gestellt wird, ist der Vormittag des 2. August. Wenn wir dann auch nur den Personalausweis beantragen wollen, hat sie ihn vor ihrer Abreise nicht! Macht auch nichts, denke ich seufzend, setzt ich mich eben am nächsten Dienstagnachmittag ab 14 Uhr 30 in den Wartebereich…
Gefuchste Mitbürger unseres Heimatstädtchens Schilda ahnen schon jetzt, dass ich diese Rechnung ohne den / die Fachverwaltungswirt/in gemacht hatte, der / die sich die Terminsprechstunden für die Berliner Bürgerämter ausgedacht hat.
An alle anderen, wie ich Arglosen, hier die Frage, was sie der folgenden Auskunft entnehmen können?
“In den drei Bürgerämtern des Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf können anspruchsberechtigte Kunden für die Beantragung und Verlängerung von berlinpässen vorsprechen bzw. Termine buchen. Dabei kam es in der Vergangenheit aufgrund des hohen Kundenaufkommens bei der persönlichen Vorsprache ohne Termin leider zu erheblichen Wartezeiten.
Um eine kurzfristige Bearbeitung sicherzustellen, wird im Bürgeramt Zehlendorf ab 01.10.2014 eine zentrale Bearbeitungsstelle für berlinpässe eingerichtet.
Die Wartemarkenausgabe erfolgt ausschließlich an dem im Raum A 5a angebrachten Wartenummerkiosk.”
Dass man einen Termin machen muss, weil man sonst gar nicht vorgelassen wird? Ich hatte das jedenfalls nicht erkannt und wurde daher nach fünfzehn kurzen Warteminuten in der Schlange vor Raum A 5a von der Bürgerin, die einer Verpflichtung nachkommt (gültige Ausweisdokumente besitzen) auf den Status einer ungebetenen Kundin herabgestuft, sprich: Ich war zur Bittstellerin geworden.
“Haben Sie eine Termin bei uns?” “Nein, wir würden uns eine Wartenummer ziehen und uns in den Wartebereich setzen, so wie letztes Jahr, als mein Sohn einen neuen Personalausweis brauchte.” “Wir sind seit 1.10.2014 ein Terminbürgeramt und vergeben grundsätzlich keine Wartenummern mehr! Buchen Sie sich bitte einen Termin.” “Meine Tochter wird Mitte August für ein Jahr nach Großbritannien gehen. Wie kommt sie bitte nachträglich an ihr Ausweisdokument; das mit der Post zu verschicken ist, glaube ich verboten.” “Aha, dann sind Sie ein Notfall! Können Sie das mit der Reise beweisen? Haben Sie eine Buchungsbestätigung dabei?” “Notfall? Elf Monate vor Auslaufen eines Passes? Zwei Monate vor der Abreise? Beweise? Der Ausweis läuft meiner Tochter läuft ab, warum muss ich irgendetwas ‘beweisen’?”
Wer sagt “Kunde”, das klinge nach Service und Freundlichkeit, dem möchte ich entgegenhalten, dass das nach einer Wahl zwischen unterschiedlichen Produkten und Dienstleistungen zu differenzierten Preisen klingt. Aber diese Wahl habe ich nicht. Ich kann mich nicht dagegen entscheiden, einen Pass zu haben, kann nicht sagen: “Ein Ausweis? Brauchen wir nicht!” Und genau deshalb habe ich mich – meine Tochter stand sehr peinlich berührt daneben – vor der Dame im Anmeldebereich zu Äffin gemacht. Ich fühlte mich plötzlich fremd und alleingelassen in der Welt, ungefähr so wie vor gut dreißig Jahren, als ich um die Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft nachsuchte.
Letzendlich und nachdem ich als Beweis unserer “Notlage” die Anmeldeformulare für den Austausch von Zuhause geholt hatte, wurde uns die unverdiente Gunst einer Notfallwartenummer zuteil. Im Wartebereich saßen schon jene “schlampigen” und “unorganisierten” Eltern mit Kleinkindern, denen erst vier Wochen vor Abflug in den Sommerurlaub aufgegangen war, dass ihre Sprösslinge für Flugreisen auch im Schengenraum Kinderausweise benötigen. Diese Eltern nahmen aber, während ich weiter pubertär vor mich hingrummelte, eine wesentlich gelassenere Grundhaltung ein, da sie wussten, dass die Herkulesaufgabe dieses Nachmittags darin bestehen würde, die Kleinen drei Stunden lang leidlich bei Laune zu halten. Meine Fünfzehnjährige hatte Kopfhörer auf und schlief irgendwann einfach ein. Pubertät hat auch Vorteile!
Als wir dann um kurz vor sechs dran waren, teilte uns die Sachbearbeiterin mit, dass wir die Wahl hätten, den Pass oder den Ausweis zu beantragen. “Sie sind ja ein Notfall!” Und: “Großbritannien? Da reicht ja ein Personalausweis. Können Sie in zwei Wochen abholen, da ziehen Sie sich dann eine 800er Wartenummer, da brauchen Sie nicht zur Anmeldung.” “Der Ausweis muss nicht in zwei Wochen fertig sein, sie fährt erst im August.” “Ist er aber. Sie sind ein Notfall!”
Nachsatz: Eine halbe Woche später ist mein akuter Pubertätsschub abgeklungen und deshalb möchten ich jenen Frauen und Männern, die in den Berliner Bürgerämtern in jenen Himmelfahrtskommandos namens Anmeldung in vorderster Front mit grundsätzlich entnervten und ahnungslosen Bürgern zu tun haben, meinen Respekt zollen. Sie müssen das Unerklärbare geduldig erläutern und dabei leidlich gelassen bleiben! Ich hoffe, dass dieser Job unter den Kollegen im Tagesverlauf routiert. Alles andere wäre wohl eine Art von Strafbataillon. Länger als eine Stunde kann unter diesen Arbeitsbedingungen sicher kaum jemand gute Laune und Freundlichekeit aufrecht erhalten.
Vielleicht hat sich im kommenden Juli die Praxis ja bereits wieder geändert. Dann werde ich nämlich mit meiner frisch aus Großbritannien heimgekehrten Tochter wieder im Bürgeramt erscheinen – um einen neuen Reisepass zu beantragen.
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