Marhaban heißt Willkommen! Ein Pflegekind in die Familie aufzunehmen, bedeutet viel Arbeit. Wenn das Kind ein Jugendlicher ist und als Flüchtling aus einem Kriegsgebiet kommt, ist es eine Herausforderung.
Wir sind jetzt wieder zu viert im Haus. Nein, unsere Tochter hat ihren Auslandsaufenthalt nicht abgebrochen und schwanger bin ich auch nicht noch einmal geworden – wir haben ein Pflegekind aufgenommen.
Wer sich Verwaltung als Abenteuer vorstellen mag – für den sind wir Hauptdarsteller in einem Kinoepos. Für alle anderen: ein zäher Weg von der wagen Idee unseres Sohnes, einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling – einen “UMF” – aufzunehmen, bis zum Einzug von M., 16 aus einer Stadt im Norden von Syrien.
Gepflastert war dieser Weg mit Treffen mit Behördenmitarbeitern, die uns im Rahmen einer mehrere Wochen dauernden Evaluationsphase auf unsere Eignung als Gasteltern hin überprüften, mit uns über die Höhe monatlicher Taschengeldzahlungen diskutierten, unsere Kinder kennenlernten und unsere Behausung besichtigten. Am Ende des wegen des hohen Bedarfs bereits stark verkürzten Verfahrens wurden wir dem Jugendamt als geeignete Gasteltern empfohlen.
Nicht dass am kommenden Tag jemand eingezogen wäre. Der erste Junge (knapp 90 % der “UMF”is sind Jungen) bekam bei der Aussicht, in eine Familie zu ziehen, in der auch Schweinefleisch gegessen, auch Alkohol getrunken und im Schnitt zweimal im Jahr in die Kirche gegangen wird, kalte Füße. Und das, obwohl wir ihm versichert hatten, dass er nichts davon mitmachen müsse; wir würden selbstverständlich anderes kochen, es gäbe bei uns auch Milch, Wasser und Saft als Getränke und eine Kirche würde er nur dann betreten, wenn er uns Interesse daran signalisieren würde.
Auch der nächste Kandidat, M. war nicht sofort Feuer und Flamme, sondern aus ganz praktischen Gründen an einem Schlafplatz bei uns interessiert: Untergebracht in einer Einrichtung am nordwestlichen Berliner Stadtrand fuhr er jeden Tag bis nach Steglitz, um seine Willkommensklasse besuchen zu können. Macht zwei Mal anderthalb Stunden pro Tag.
Als er dann einzog, zeigte er sich als höflicher, ja freundlicher und ruhiger Junge, der, obwohl schon seit dem Sommer im Land, mit dem Kopf noch immer in Syrien bei seiner Familie ist. Da hilft auch die strikte Anweisung seines Vaters (via Skype): “Vergiss Syrien!” nicht. Wie sollte so etwas funktionieren? Auch für uns, die wir eigentlich reichlich Erfahrung mit Gast- und Austauschschülern, Musikstudenten auf der Durchreise oder im Berliner Gastsemester haben, fühlte sich das Ganze sehr, sehr fremd an.
Aber langsam rüttelt sich hier alles irgendwie zurecht. Der Junge hat Winterklamotten, das zertöpperte Smartphone hat wieder eine heile Scheibe. Momentan werden wir einmal in der Woche syrisch bekocht, hören, wie “Happy Birthday!” auf arabisch klingt und erleben jemanden, der sich riesige Mühe gibt, hier möglichst wenig falsch zu machen. Wir erleben die Bereitschaft einen Schwimmkurs zu machen – trotz, siehe oben, übler Erfahrungen auf dem Wasser.
Aber von nun an kehrt er zurück, der Alltagswahnsinn mit Teenagern. Morgens:”Steh’ auf, Du kommst zu spät!”, abends: “Mach’ den Computer aus und schlaf’, damit Du morgen früh rauskommst!” Außerdem gibt es natürlich Probleme, die sich direkt aus der kulturellen Differenz ergeben: In Syrien gehen die Uhren anders, die Dinge gehen langsamer vonstatten. Es wird langsamer gegessen zum Beispiel. Das ist gut und gesund. Aber Aufstehen dauert auch länger und sich fertigmachen für die Schule. Pünktlichkeit, so wie wir sie verstehen (“Fünf Minuten vor der Zeit…”), ist ganz schwer zu vermitteln. Manchmal kommt er eineinhalb Stunden zu spät nach Hause und versteht nicht, warum wir sauer sind. Dann gibt er sich ganz große Mühe mit dem Vorausberechnen der Fahrzeiten – und kommt eine dreiviertel Stunde zu früh heim am Abend.
Richtig schwierig aber ist die total überlastete Berliner Verwaltung. Jeder Ämtergang, zur Verlängerung der Aufenthaltsgestattung zum Beispiel, kann mehrere Tage in Anspruch nehmen. Nicht nur das Lageso ist komplett überfordert. Der erste Willkommenskurs (“Kurzläufer”) endete mit dem Beginn der Berliner Winterferien. Den Schulplatz im Folgekurs Deutsch gibt es womöglich erst in acht Wochen. Wir sind verzweifelt.
ich finde es toll. ich würde es auch gerne mitmachen aber mein Mann gar nicht.
Ich denke nicht, dass das so einfach ist, wie das klingt. Die Jugendlichen sind ja extrem traumatisiert und verstört. Sicherlich braucht man extrem viel Geduld und Liebe.