Meine Kindheit endete in den 70er Jahren und begann Ende der 50er. Damit bin ich sicher der “Dinosaurier” bei dieser Blogparade #familienalbum vom Blog Frau Mutter – was soll’s!
Mein Vater war der einzige Student, der schon ein Kind hatte und seine Familie hatte zunächst große Probleme damit. Hatten doch seine Eltern große Erwartungen hinsichtlich seiner Kariere und das schien nun infrage gestellt…
Meine Mutter war sehr gut informiert und hatte sich entschlossen sehr selbständig in allem zu entscheiden und jede Entscheidung zu hinterfragen. So stillte sie mich einfach gegen ärztlichen Rat und zwar fast ein Jahr – dafür erntete sie beim Kinderarzt nur ein müdes Lächern… Muttermilch sei schließlich bei weitem nicht so gut, wie die neuen wissenschaftlich getesteten Pulvermilchprodukte.
Dadurch entwickelte ich mich zu einem kräftigen, kerngesunden Baby mit roten Backen und da meine Mutter mich komplett in ihr Leben mit einbezog, hatte ich paradiesische Rahmenbedingungen.
Mein Umfeld war ziemlich emanzipiert – so hatte ich lange den Eindruck, dass alle wichtigen Menschen in Entscheiderpositionen Frauen wären: in der Universität war der Dekan in einem technischen Ingenieurs-Studiengang eine Frau, eine ungeheure Respektsperson. Zu Hause hatte ich den Eindruck, dass meine Mutter das Sagen hatte. Hinzu kamen noch die Kommilitonen meines Vater, ausnahmslos Männer, die alle bei uns ein- und ausgingen und meine Mutter sehr schätzten – gab es doch hin und wieder ein Stück selbst gebackenen Kuchen und das in dieser studentischen Untermietzimmer-Einöde… ich hatte mein Bullerbü mit Studenten, die mit mir Papierflieger und imaginäre Molekülmodelle bauten.
Das war aber auch schon der erste Zeitpunkt, an dem ich nicht funktionierte, wie ich sollte. Ich liebte Puppen und Babys, statt mich in erster Linie für Naturwissenschaften und die aufkommenden allerersten Riesencomputer zu interessieren – ich liebte das Lochstreifen-Konfetti:
Mein erster Geburtstag war sicher sehr schön und ich habe meine erste Erinnerung, was mir keiner glaubt – es ist aber so: meine Cousine kam zu Besuch und durfte in meinem neuen Sportwagen sitzen, während ich als Gastgeber in meinem alten Kinderwagen gestopft wurde und das wollte ich partout nicht einsehen…
Anschnallgurte habe ich als Freiheitsberaubung angesehen und wehrte mich dementsprechend dagegen immer wieder erfolgreich, was mir die Freiheit gab, mich lieber mitten auf den Weg zu setzen.
Ab dem zweiten Geburtstag fuhr ich dann meine Puppen und Kuscheltiere umher:
Als dann die 60er Jahre kamen, wollte ich bei allen “wichtigen” Aufgaben mitwirken, was ich dann auch sehr gerne mit meinem Opa (war der emanzipiert!) zusammen tat – Kinderarbeit?!?
Da wir im Rheinland wohnten, war der Karneval eines der Highlights für alle Kinder. Da zog ich mit meinem Struwwelpeter-Köstüm durch die Straßen und sang lauthals mein Lieblingslied: ein Lied mit Engeln, die kommen und jemanden forttragen… da hatte ich jedoch etwas grundlegend falsch verstanden und wunderte mich über das freudige Gelächter der Erwachsenen. Der Text des Liedes beginnt: “Schnaps, das war die letztes Wort – dann trugen ihn die Englein fort!” Schnaps musste wohl so eine Art “Zauberwort” für Engel sein…
Aber auch meine Eltern kamen auf ihre Kosten: in der Universität wurden die wildesten Karnevalsfeste gefeiert – in Sack und Asche!
Das wichtigste Ereignis war die Geburt meines ersten Bruders, auf den ich soooo lange gewartet hatte und den ich dann heiß und innig liebte:
Dagegen verblasste sogar meine Einschulung, die mir auch sehr wichtig war. Der Höhepunkt neben der Schultüte war, dass mir mein Wusch erfüllt wurde und ich zur Feier des Tages so viel Eis essen durfte, wie ich es schaffte. Ich wählte Zitroneneis und nach einer großen Anzahl Kugeln wurde meine Mutter langsam unsicher, ob sie diesen Exzess nicht lieber beenden sollte…
Vielleicht lag es ja am Eis, denn ich wuchs viel schneller als meine gleichaltrigen Freunde – das wurde mir manchmal fast unheimlich:
… und das blieb so – ich fühlte mich manchmal wie das “häßliche Entlein”! Mit Eltern, die alles anders machten, als alle anderen Familien, mich auf eine Montessori-Schule schickten, die sich gar nicht wie Schule anfühlte, die sehr lange keinen Fernseher und kein Telefon hatten, schlich sich manchmal bei mir der Wunsch ein, einfach “ganz normal” zu sein.
Als dann die 70er Jahre begannen, zogen wir in eine andere Stadt. Ich wechselte von einem Mädchen-Gymnasium auf eine gemischte Schule und träumte im Vorfeld von irgendwelchen Traumprinzen, die in meiner Klasse sein könnten… die Jungs waren aber alle noch sooo klein und kindisch und ich war sehr verwundert… Es hatte den Nebeneffekt, dass ich bei Theaterstücken immer Königinnen oder Kaiserstöchter – wie Turandot – spielen sollte.
Das hat dann aber doch großen Spaß gemacht!
Wir wuchsen heran und ich blieb die Größte.
Wir machten tolle Klassenreisen, wie die zum Landesvermessungspraktikum auf eine Hallig.
Wir waren als Teenager nur schwer zu bändigen. Hier tragen wir während einer Theaterprobe, teilweise in Kostümen, das Auto einer Lehrerin über eine kleine Mauer in die Vorhalle des Theatersaales. Das Auto – ein Fiat 500 – hätte heute Kultstatus!
Wir machten ziemlich jung noch super gefährliche Reisen mit zwei blonden Mädchen in den Süden und nahmen keinen Schaden, weil uns immer jemand beschützt hat, ob wir wollten oder nicht…
Ich nähte und strickte mir ausdauernd viele Kleider – sehr zum Leidwesen meines Vaters, der immer versuchte bei mir keine Eitelkeit aufkommen zu lassen und meinte, meine Aktivitäten seien Zeitverschwendung – dabei war ich manchmal doch ziemlich stolz auf meine Produkte, auch noch bis zum Abitur (statt Vokabeln zu lernen).
Dann ging’s holterdipolter ins Studium. Als ich meinen Eltern mitteilte Jura studieren zu wollen, war mein Vater bitter enttäuscht – Jura ist doch keine Wissenschaft…
Mit viele Jobs, auch auf Messen ( wieder abgelenkt), ermöglichte ich mir all’ dass, was vom Elternhaus her als überflüssig eingestuft wurde.
Dadurch konnte ich die Welt kennen lernen ohne meinen Eltern zu sehr “auf der Tasche zu liegen” und vor allem: meine Entscheidungen konnte ich frei treffen.
Gut, das ich das so gemacht hatte, denn mein Studium verging wie im Flug und dann kamen auch schon dien 80er Jahre… und alles sollte ganz anders werden.
Ich machte Examen und meine Mutter kam bei fast jeder Prüfung herbeigeflogen, um auf meinen ersten Sohn aufzupassen:
Nach der letzten Prüfung – mein Ältester wurde in dieser Woche gerade ein Jaht alt – reisten wir erst einmal für ein paar Wochen nach Indien. Ich hatte nach einem gefühlten Marathon soviel Muße mit unserem Kind nachzuholen…
Berufliches mit einem kleinen Kind zu jonglieren, war für mich dann ein Balanceakt, der mich immer wieder nachdenken und zweifeln ließ. Daher waren die Tage auf unseren Reisen so unglaublich wichtig für uns:
Dann kam auch schon bald das zweite Kind und langsam wurde mir bewusst, wie dankbar ich meiner Mutter für ihren ungeheuren Einsatz bin, mit dem sie mich immer begleitet hat. Sie wohnte zwar hunderte Kilomenter weit weg, doch ich fühlte mich immer sehr verbunden mit ihr:
Die erste Tochter brachte das erste Mädchen seit Langem in die Familie ihres Vaters – er hatte nur Brüder und diese bis dahin nur Söhne (seht Euch mal die krassen Schulterpolster meiner Bluse an!!)…
Gegen Ende der 80er Jahre gab es – neben der Tatsache dass sich unser drittes Kind schon auf den Weg zu und gamacht hatte – noch den Mauerfall, der uns alle sehr berührt und nachhaltig verändert hat.
Mit drittem Kind schwanger am Brandenburger Tor, wenige Tage nach der Öffnung der Mauer – man sieht sie noch im Hintergrund – beschließen wir die 80er Jahre.
Mir kommen diese Jahrzehnte einerseits vor wie eine unendliche Geschichte, insbesondere, wenn ich an die Mitblogger denke, die fast alle deutlich jünger sind als ich. Andererseits haben sie mir eine geballte Ladung Leben, Schicksal und Entwicklung gebracht, für die ich sehr dankbar bin!
Und danach wurde es erst richtig interessant in meinem Leben…
Mir hat es sehr viel Spaß gemacht, als ich mir unseren großen Foto-Familien-Schatz gerade angesehen habe, alles noch nicht digital und von meinen Eltern liebevoll und mit großem Zeiteinsatz in Bücher geklebt, die viel Platz in einem Regal einnehmen.
Wie praktisch sind doch digitale Bilder – vor allem beim Teilen… vorausgesetzt man schafft es der Bilderflut eine sinnvolle Struktur zu geben.
Die Idee zu dieser Blogparade #familienalbum war jedenfalls großartig, danke liebe “Frau Mutter“!
Ein wunderbarer Artikel! Es hat Spaß gemacht, an einem kurzen Streifzug durch dein Leben teilzunehmen. Und Nina hat Recht: Damals wie heute siehst du aus wie ein Model! 😉
Danke, liebe Jessika,
das war ja nur das erste Viertel meines Lebens – das nächste Viertel bleibt “geheim”… und jetzt im dritten Viertel geht’s erst richtig los!
Liebe Grüße!
Liebe Gabriele, was ein spannender Artikel und schon habe ich das Gefühl Dich ein Bisschen kennen gelernt zu haben. Spannend. Und Geheimnisse können einen ja auch um so interessanter machen.
Ich hoffe, dass wir uns bald wieder sehen! In Berlin war es so schön!
Liebste Grüße aus Niedersachsen
JesSi Ca
[…] großartiger Beitrag war auch der meiner Kollegin Gabriele von Motherbook. Sie zeigt uns wunderbare Fotos und lässt uns teilhaben an einem Familienleben jenseits der […]